Donnerstag, 13. Mai 2010

„Der Schmerz geht – der Stolz bleibt“

Ich bin Marathonläufer! 42,195 Kilometer voller Emotionen liegen hinter mir. Ich hab’s geschafft. In 3:58:05 h. Knapp vier Stunden mit Höhen und Tiefen, mit Freude und Schmerz. Das Marathon-Wochenende in Prag – mein erster Marathon - war ein Erlebnis mit Gänsehaut…

Start mit Smetanas „Moldau“
Seit Wochen fiebern wir diesem Tag entgegen. Als ich mich am Sonntag-Morgen mit Jens zusammen vom Hotel in die Prager Innenstadt aufmache, bin ich aufgeregt, wie selten zuvor. Nach vielen Monaten Training bin ich unheimlich auf diesen, meinen ersten Marathon fixiert. Heute musste einfach alles gut klappen.

Es ist phantastisches Wetter, als wir auf dem Altstadtring ankommen und uns auf die Suche nach unserem Startblock machen. 7.500 Läufer sind am Start, und so hab ich ein gutes Stückchen Weg zurückzulegen, bis ich das Schild mit meinem Startnummernbereich entdecke. Später brauche ich nach dem Startschuss acht Minuten, um überhaupt erst mal die Startlinie zu überqueren.

Bis zum Start sind noch ein paar Minuten Zeit. Ich sauge die Kulisse in mich auf: Strahlend blauer Himmel, tausende Läufer aus aller Herren Länder dicht an dicht in den Gassen der wunderschönen Prager Innenstadt. Aus den Lautsprechern stimmungsvoller, tschechischer Wortschwall.

Dann ist es soweit. Ein Startschuss ist nicht zu hören, dazu ist der Start zu weit weg. Aber die Menschenmenge setzt sich langsam in Bewegung. Jubel brandet auf. Aus den Lautsprechern – und jetzt bekomme ich richtig Gänsehaut – begleitet uns auf den ersten Metern Smetanas Moldau. Das ist perfekt: Die Musik, die jubelnden Menschen, die Sonne, diese wunderschöne Stadt. Es geht los, ich laufe Marathon.

Die erste Hälfte zum Genießen
Die Streckenführung gefällt mir. Es geht aus der Innenstadt hinaus über die Moldau in Richtung Norden und nach ca. 10 Kilometern wieder über die Moldau zurück und noch einmal durch den Start-Ziel-Bereich in Prags Zentrum. Diese ersten Kilometer sind richtig zum Genießen. Vorbei an Prags Sehenswürdigkeiten, der Blick auf die Moldau, die Karlsbrücke. Am Straßenrand begeisterte Menschen und Musikbands, die mit Sambarhythmen die Läufer antreiben. Viele Leute haben Plakate gemalt. Eines davon berührt mich: „Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.“ Einen Marathon zu laufen, sich dieser Herausforderung zu stellen, sich selbst zu bezwingen, das ist etwas Besonderes. Und ues ist etwas, das einem, wenn man es einmal geschafft hat, niemand mehr nehmen kann. Man kann immer stolz darauf sein.

So zu laufen macht Spaß. Es fällt mir gar nicht schwer, das Rennen so anzugehen, wie ich’s mir vorgenommen hatte: Relativ zügig, aber nicht zu schnell. Die ersten Kilometer laufe ich alle um die 5:15 min, später dann sogar um die 5:00. Als Verpflegung hatte ich mir sechs Powerbar-Gels eingepackt, die quetsche ich mir ab Kilometer 10 alle 5 Kilometer rein. Die sind richtig lecker. Alle zweieinhalb Kilometer kommt ein Verpflegungsstand, an dem ich mir einen Becher Wasser gönne. Alles läuft nach Plan.

Kilometer zäh wie Kaugummi
Nach der Altstadt-Runde geht es an der Moldau entlang stadtauswärts. Genau nach Halbmarathon-Distanz kommt ein Wendepunkt. Als ich den passiere, zeigt die Uhr 1:51:58 h. Nicht schlecht. Die Hälfte ist geschafft, die letzten Kilometer sind regelrecht vorbeigeflogen, ich fühl mich gut. Jetzt nochmal das Ganze und am Ende steht eine 3:45 h auf der Urkunde.

Aber so einfach ist es nicht.

Nach zwei Stunden Laufzeit geht es nun langsam auf Mittag zu. Die Sonne meint es nach wie vor richtig gut. Ab km 25 beginnen die Beine schwerer zu werden. Nicht so, dass man sich sorgen muss, aber die Kilometerzeit steigt auf 5:30 min. Bei km 28 nehme ich mir das erste Mal ein bisschen mehr Zeit, einen Wasserbecher vom Verpflegungstisch zu greifen. Bei km 32 überschreite ich eine Grenze: Noch nie bin ich so weit gelaufen. Was ich jetzt zu spüren beginne ist: Mein Körper will auch nicht so weit laufen. Nach drei Stunden hat er genug. Er will anhalten und stehenbleiben. Der Kampf zwischen Körper und Willen ist eröffnet. Ich beginne die Kilometer rückwärts zu zählen.

Noch 10… Fast noch eine ganze Stunde. Es macht keinen Spaß mehr. Warum tust du dir das an?

Noch 9,… Es vergehen Ewigkeiten von einem Kilometerschild bis zum nächsten. Immer wieder rechne ich die Kilometerzeiten auf die Zielzeit hoch. Der Puffer auf die Unter-4-h-Zeit schmilzt dahin. An 3:45 h ist nicht mehr zu denken.

Noch 6 … Es ist noch so weit. Ich hab auch keine Lust mehr, mir schon wieder so ein widerliches Gel reinzudrängeln. Und wann kommt endlich wieder eine Verpflegungsstation, ich hab solchen Durst! Ich kann nicht mehr! Ich muss ein Stückchen gehen. Nur ein kleines Stück!

Noch 4 Kilometer. Lauf, lauf, lauf!

„Zieh nochmal, Junge!“
Zwei Kilometer vor dem Ziel weiß ich: Wenn ich unter vier Stunden bleiben will, bleibt nicht mehr viel Zeit. 3:46 h zeigt die Uhr, als ich das 40-km-Schild passiere. Noch mehr Gehpausen, dann ist die Unter-4-Stunden-Zeit futsch. Also: ‚Reiß dich nochmal zusammen! Beiße! Kämpfe! Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein.‘ Bei Kilometer 41 zeigt die Uhr 3:52 h. Noch 1200 m, es ist noch alles drin. Aber noch bin ich nicht auf der Zielgeraden. Dann kommt die letzte Kurve. Jetzt geht’s nur noch geradeaus. Am Straßenrand stehen hunderte Menschen, jubeln, feiern jeden einzelnen Läufer. Ein unbeschreibliches Gefühl! 3:56 h auf der Uhr. Ich kann das Ziel noch nicht sehen. Ich muss noch mal anziehen. Aus der Menge hör ich jemanden rufen: „Komm Matthias, zieh noch mal, Junge!“ Ich entdecke Jens, der schon angekommen war (nach 3:10:08 h!) Jetzt, wenige Meter vor dem Ziel treibt er mich noch mal nach vorne. Später seh‘ ich auf den Fotos, dass ich ein Lachen im Gesicht habe. Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.

Eins weiß ich aber noch: Irgendwann kam das Ziel in Sicht. 3:57 h, nur noch ein paar Meter! Innerlich jubelnd laufe ich dem Ziel entgegen. Die Erlösung ist nah. Im Ziel balle ich die Fäuste. Die Arme nach oben zu reißen, dafür reicht die Kraft nicht mehr. Als ich die Linie überquere, steht fest: Meinen ersten Marathon schaffe ich in weniger als vier Stunden: 3:58:05 h stehen am Ende auf der Uhr.


Ich bin am Ziel. Ich habe einen weiten Weg hinter mich gebracht. Mir tut alles weh. Ich bin voller Stolz. Und eins weiß ich: Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.


2 Kommentare:

  1. Mein Bruder ist ein Marathonläufer! Gratuliere!
    Starke Leistung, hat sich ja Dein hartes Training gelohnt. Schöne Zusammenfassung und toll geschrieben.

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  2. Wahnsinn, da bekomme ich ja noch einmal richtig Gänsehaut beim Lesen. Sehr gut geschrieben. War ein tolles Wochenende.

    Das wird wohl nicht der letzte Marathon gewesen sein.

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